Mittwoch, 24. März 2010

Heldenmythos des Mittelstandes

Neulich sah ich ein Vortragsvideo von Vera Birkenbihl darüber, wie Medien unsere Meinung bilden. Dort zitierte Frau Birkenbihl, aus dem Buch „Was ist ein Unternehmer?“ von Prof. Eberhard Hamer. Danach würde der Mittelstand mehr als 80% der öffentlichen Finanzen tragen. Frau Bikenbihl echauffiert sich darüber, dass die Unternehmer des Mittelstandes trotz dieser wichtigen Rolle in der Gesellschaft einen so schlechten Ruf hätten. Ich echauffiere mich jetzt mal über Frau Birkenbihls unkritische Übernahme der Aussage der Mittelstand zahle 80% aller Staatsabgaben. Vielleicht liegt es daran, dass Frau Birkenbihl als Geschäftsfrau selber zum Mittelstand gehört. Da glaubt man auch mal gerne großgerechnete Zahlen, wenn sie einen selbst als ein(e) Held(in) der Arbeit erscheinen lassen. Hier meine eigene (sehr mittelstandsfreundliche) Abschätzung.

Schaut man sich das Steueraufkommen der Bundesrepublik im Jahr 2007 an, dann erkennt man zunächst, dass folgende Steuern überhaupt n i c h t von Mittelständlern bezahlt werden:

Umsatzsteuer (besser bekannt als Mehrwertssteuer): 31,5%

Lohnsteuer: 24,5%

Körperschaftssteuer: 4,3%

Tabaksteuer: 2,7%

Macht zusammen: 63%. D.h. der Mittelstand zahlt höchstens 37% des Steueraufkommens.

Hamer zählt vernünftigerweise auch die Sozialabgaben zu den Staatseinnahmen. Aber selbst unter der völlig unrealistischen Annahme alle Beschäftigten wären für den Mittelstand tätig, würden die Mittelständler nur 50% der Sozialabgaben tragen.

Jetzt wollen wir doch mal überschlagen, wie viel Prozent aller Staatsabgaben (Steuer und Sozialversicherung) der Mittelstand höchstens zahlt: Im Jahre 2007 betrug das Steueraufkommen rund 538 Mrd. Euro. Der Mittelstand hat maximal 37% davon bezahlt, das sind rund 199 Mrd. Euro.

Die Sozialversicherungen nahmen im selben Jahr rund 476 Mrd. Euro ein. Der Mittelstand hat maximal 50% davon gezahlt, das sind rund 238 Mrd. Euro.

Der Staat hat also 1014 Mrd. Euro eingenommen und davon hat der Mittelstand maximal 437 Mrd. Euro bezahlt. Das entspricht 43%. Weit weg von den 80%, die der Mittelstandslobbyist Prof. Eberhard Hamer gerne vor sich her trägt und die auch auf der Homepage seines Think Tanks, dem Mittelstandsinstitut Niedersachsen e.V. kolportiert wird.

Zur Erklärung der 80% verweist Prof. Hamer in seinem Buch „Was ist ein Unternhemer“ auf eine seiner früheren Schriften „Wer finanziert den Staat?“, von 1982. Eine (legale) frei zugängliche Darlegung seiner Rechnungen, die zu den 80% führen sucht man im Netz leider vergeblich. Aber auch in „Was ist ein Unternehmer“ bekommt man einen Hinweis, wie er gerechnet haben könnte.

Hamer sagt einfach: die Steuern und Sozialabgaben, die Angestellte des Mittelstands zahlen, sind letzlich auch Beiträge des Mittelstandes. Dies mag formal richtig sein, denn wenn der Mittelstand nicht wäre, gäbe es auch den Lohn dieser Angestellten nicht. Umgekehrt gilt aber auch, dass der Mittelständler ohne die Angestellten niemals soviel Geld erwirtschaftet hätte. Hamer bewertet die Leistung des Mittelständlers allerdings höher, als die seiner Angestellten. Aber kein Angestellter bekommt von einem Unternehmer mehr Gehalt, als seine Arbeitsleistung Wert ist. Der Angestellte hat sein Gehalt also verdient und dass Hamer es dem Unternehmer zurechnet, lässt mich frei nach Shakespeare ausrufen: Mein oder nicht Dein? Dass ist hier die Frage!

Das Wurst-Paradoxon

Neulich hatte ich im Supermarkt eine Packung polnischer Rohwürste (Kabanos) in der Hand und fröhnte einem meiner heimlichen Vergnügen: ich studierte das Kleingedruckte auf der Rückseite. Da stieß ich zum ersten mal auf das Wurst-Paradoxon:


Wie konnte es sein, dass 100 g Kabanos, 110 g Schweinfleisch enthielten? Nicht überrascht hätte es mich, wenn da gestanden hätte: 100 g Kabanos enthalten 90 g Schweinefleisch und 10 g Speck, Salz und spuren von Erdnüssen, die ja auch sonst überall drin sind. Aber nein, hier waren 110 g Fleisch in 100 g Wurst.

Ich dachte bei mir: Die Macher dieser Rohwurst sollten auch Reisekoffer herstellen: Beim Aufgeben des Gepäcks am Flughafen würde man den Koffer dann ganz entspannt auf die Waage stellen und stolz verkünden: 20 kg Koffer enthalten 30 kg Wäsche! Das wär was.

Ich schaute nun gezielt, ob das Wurst-Paradoxon auch bei anderen Fleischprodukten vorkam und in der Tat, z.B. bei dieser Mini-Salami:


Aber das klang schon anders: 100 g Salami werden aus 135 g Schweinefleisch hergestellt. Jetzt wurde mir langsam klar, dass die Kabanos-Brüder doch nicht die physikalische Gesetze der Massenerhaltung ausgehebelt, sondern sich nur unklar ausgedrückt hatten.

Meine Vermutung: Bei der Herstellung der Wurst, wird das Schweinefleisch getrocknet, so dass die ursprünglichen 110 g bzw. 135 g Schweinefleisch nach dem Trocknen, also mit weniger Wasser, nur noch runzlige 100 g minus X g auf die Fleischwaage bringen. Die X g setzen sich dann aus Speck, Gewürzen und bestimmt auch Spuren von Erdnüssen zusammen.

Das Wurst-Paradoxon kann übrigens einen Hinweis darauf geben, was die Qualität des Fleisches angeht. Die Mini-Salami ist offensichtlich aus Schweinefleisch mit einem relativ hohen Wasseranteil hergesstellt worden, verglichen mit dem Fleisch der Kabanos. Ein hoher Anteil von Wasser im Fleisch kann ein Hinweis, auf qualitativ minderwertigeres Fleisch sein.

Sonntag, 21. März 2010

Haarsträubend - Teil 2


Alpecin Coffein Shampoo C 1


Weiter geht es mit der Show-Wissenschaft angeblich wirksamer Anti-Haarausfallprodukte. Auf der Flasche von Alpecin Coffein Shampoo C1 findet sich folgendes Diagramm:


Dieses Diagramm ist praktisch nichtssagend! Es ist ein Comic, dem man durch das Koordinatenkreuz und die Skalenstriche einen wissenschaftlichen Touch geben will. Eine linear ansteigende Kurve zeigt dass irgendeine (?) Menge Coffein aufgenommen wurde. Etwas mehr Informationen gibt es auf der Seite des Herstellers Dr. Kurt Wolff. Da findet man z.B. diese Grafik (aus rechtlichen Gründen mit einem bekannten Tabellenkalkulationsprogramm nachgemahlt):


Hier stehen immerhin schon Zahlen an der senkrechten Achse...aber man erfährt nicht wieviel eine Einheit Coffein ist. Und wo liegen die zwei Minuten von dem Diagramm auf der Shampooflasche? Das kann man nicht sagen! Das Problem: Die Skalenstriche suggerieren, dass die Skala linear ist (bei einer Zeitskala wie hier würde das bedeuten, dass zwischen zwei benachbarten Skalenstrichen immer gleich viel Zeit liegt). Aber tatsächlich ist die Skala willkürlich zusammengestückelt. Das Problem ist im nächsten Bild dargestellt:


Die roten Fragezeichen deuten an, dass in dem Bereich zwischen den Zeitangaben (0 min, 10 min, 30 min, ...) nicht erkennbar ist, wie die Skala sich entwickelt. Also kann man auch nicht sehen, wo die zwei Minuten liegen. Was man aber sieht ist, dass man das Shampoo sicherheitshalber 10 Minuten einwirken lassen sollte, um einen Großteil des Coffeins aufzunehmen.

Auf der Alpecin Seite erfährt man, dass nach zwei Minuten schon soviel Coffein aufgenommen wurde, dass es "dort auch noch nach 24 Stunden feststellbar ist". Das ist schön.

Aber was man nicht erfährt:
  • Kann Coffein Haarausfall aufhalten?
  • Wenn ja, reicht das in 2 Minuten aufgenommene Coffein aus?
Dass diese wichtigen Fragen nicht beantwortet werden, liegt daran, dass die Antworten unbekannt sind. In einer Alpecin-Studie (aus Jena) finden sich im Reagenzglas Hinweise, dass Coffein ein Wachstumsmittel eine Behandlungsform des erblichen bedingten Haarausfalls bei Männern darstellen "könnte" (vgl. das Fazit der Alpecin Studie "Wachstumsphasen der Haare bei erblichem Haarausfall"; Zu finden auf der Alpecin Studienseite).

In einer Studie aus Berlin weist Alpecin nach, dass Coffein aus einem Shampoo (war es genau das Shampoo, welches zum Kauft angeboten wird???) auch tatsächlich in die Haarfolikel von Menschen eindringt.

In der Studie wurde aber nicht untersucht, ob damit der Haarausfall gestoppt wurde, obwohl das eigentlich interessanter gewesen wäre! Allerdings auch teurer und auch risikoreicher: wäre nämlich rausgekommen, dass das Coffeinshampoo den Haarausfall nicht stoppt, könnte man es nicht einmal mehr dem schwersten Kaffesüchtigen verkaufen (zumindest nicht zu dem Preis, wie im Moment). Statt dessen schaut man, ob Coffein aus dem Shampoo in die Haarfolikel kommt. Ja, das tut es. Dann kombiniert man dieses Ergebnis mit den Ergebnissen aus dem Reagenzglas, dass Coffein den haarschädigenden Einfluss von Testoron bzw. seiner Abbauprodukte auf das Haar ausgleichen könnte und voilà, fertig ist die indirekte Beweisführung. Gut genug für Kosmetika, aber natürlich kein Nachweis für Wirksamkeit. Gäbe es einen Wirksamkeitsnachweis, der einer Überprüfung für die Zulassung als Medikament standhielte, würde man das Shampoo sicher noch teurer als Medikament in der Apotheke verkaufen.

Fazit: Man weiß nicht, ob Coffein gegen Haarausfall hilft. Bis man es weiss, verkauft Alpecin schon mal für teuer Geld die Hoffnung, dass es so sein könnte. Bedenklich an dem Produkt ist aber die Gewissheit der Alpecinwerbung: "Glatze? Vorbeugen mit Coffein!" oder "Männer vor die Wahl gestellt: (Coffein ein-) Rubbeln oder Glatze?". Aber tatsächlich ist Coffein keine Anti-Glatzen-Garantie, sondern eher ein Rubbel-Los.

P.S.
Inzwischen streitet man sich sogar vor Gericht, ob Alpecins Werbung für Coffein als wirksamer Glatzenschutz, nicht irreführend ist.

Haarsträubend - Das Geschäft mit der Glatze

Die Angst vor der Glatze ist eine gute Gelegenheit Geld zu verdienen, indem man Shampoos und Haarwässerchen anpreist, die, im Falle des (Aus)fallens, versprechen, eben dieses aufhalten zu können. Natürlich soll der Kunde überzeugt werden ein hochwirksames Produkt zu kaufen und so prangen auf den Packungen schicke Grafiken, die Wissenschaftlichkeit und Effektivität unterstreichen sollen, aber tatsächlich reine Lumpenwissenschaft sind. Hier ein Beispiel:

Aminexil von Elvital



Wow! Das sieht ja ganz ordentlich aus. Die Grafik suggeriert, dass mit Aminexil nur noch halb soviele Haare ausfallen. Aber das ist falsch und das läßt sich auch leicht nachweisen, da Elvital entweder aus Dummheit oder Ehrlichkeit die senkrechte Achse beschriftet hat. Das ist einer der seltenen Fälle, in denen der Ehrliche auch mal zu Recht der Dumme ist. Elvital verwendet hier den Trick der "Unterdrückung des Nullpunkts". Der Nullpunkt ist in der Grafik nämlich weggelassen. Wäre er dabei, sähe die Grafik so aus:


Wer würde bei dieser Darstellung noch von der Herstelleraussage überzeugen lassen, dass sich mit Aminexil "deutlich weniger Haare in der Haarausfall-Phase" befinden? Jetzt sieht deutlicher: Ohne Aminexil fallen einem ca. 40% der Haare aus, mit Aminexil auch!

Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch zu wissen, ob dieser mikrige Abstand mit der Dauer der Bahandlung wächst oder schrupft. Hier wurde das Aminexil nur 6 Wochen getestet. Die meisten Männer dürften ihre Haare aber länger behalten wollen.