Mittwoch, 2. Juni 2010

Prepaid Psychologie


Letztens stoße ich auf folgende Onlineanzeige:


Das ist die neue Dienstleistungsgesellschaft, psychologische Beratung und Coaching nur eine Telefonnummer entfernt. Wenn man mal wieder Liebeskummer oder Stress hat, nicht auf den guten alten Bleistift beißen, sondern einfach anrufen. Folgt man dem Link erreicht man die Seite von „offenes Ohr 24.com“.


Das Kürzel „.com“ weist darauf hin, dass es hier um Kommerz geht, genauer gesagt Kummerkommerz. Das Beratungsspektrum ist breit gefächert, von Lehrangeboten wie „Flirt-Training“ und „Talententwicklung“ über eher kleinen Krisen wie „Liebeskummer“ oder das Verlangen nach einem Gespräch „von Mann zu Mann“ bis hin zu den dicken Fischen wie „Einsamkeit/Isolation“ und „Lebensmüdigkeit“. Da ist eigentlich für jeden etwas dabei, der bereit ist, die 1,86 € / min (Festnetz) bzw. 1,99 € / min (Mobil) zu bezahlen. Wer sich also vom Festnetz z.B. für zwei Stunden „von Mann zu Mann“ austauschen will muss 223,20 € berappen. Eine Stunde „Flirt-Training“, schnell übers Handy genommen, um die Schönheit Gegenüber im Cafe anzusprechen schlägt mit 119,40 € zu Buche.

Diese Gesellschaft 2.0 ist schon seltsam. Da hat man laut Facebook 300 Freunde aber keinen, der ein offenes Ohr hat, um ihn bei Liebeskummer anzurufen, oder ein Gespräch von „Mann zu Mann“ zu führen. Stattdessen neigt sich einem nur das offene Ohr 2.0 zu.

Passend in die heutige Zeit gibt es natürlich auch die entsprechenden Zahlungmodalitäten, etwa ein Prepaidkonto. Seine Einrichtung ist sogar zwingend notwendig, wenn man länger als „etwa“ zweieinhalb Stunden mit den Beratern sprechen will. Was das etwa bedeutet erwähnt das offenen Ohr 24 nicht. Es soll aber so sein, dass die 0900 Nummer, die praktisch in unbeschränkter Höhe auf die Telefonrechnung durchschlägt, nicht länger als zweieinhalb Stunden pro Monat für eine Festnetznummer erreichbar sein soll. Alles was darüber hinausgeht muss über das Prepaidkonto laufen, also über Vorkasse.

Ich hab mich mal auf die Suche nach einem Berater für Lebensmüde gemacht. Das Ergebnis: 5 Berater, einer im Gespräch und mit vier konnte man einen Termin ausmachen.



Da heißt es für mich als potentiellen Selbstmörder Geduld zu beweisen, draußen auf dem Fenstersims und wie jeder andere auch einen Termin auszumachen. Aber hey, vielleicht wird ja Robert Malzan gleich frei. Bei ihm gibt es sogar 15 Freiminuten. Ein Kennenlernangebot auch für die Lebensmüden Kunden.

Natürlich könnte man auch die Telefonseelsorge anrufen. Dort wird man mit ehrenamtlichen Mitarbeitern sprechen und sie ist gratis bzw. die Telekom übernimmt die Kosten. Ja, ja, wer hätte das gedacht, das „Magenta-Monster“ hat eine kleine soziale Ader. Also ich glaube, ich würde im Notfall immer bei der Telefonseelsorge anrufen, auch wenn ihr „Flirt-Training“ nicht das Beste sein soll.

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