Freitag, 18. Juni 2010

Börsenanalysen - Hirn, mach mal Pause.

Der rational aufgeklärte Mensch der Moderne lächelt über die Wirrköpfe, die astrologische Analysen betreiben. Nicht selten versucht man die Astrologie dadurch zu stärken, indem man, wie z.B. der Astrologe Winfried Noé, die Planetenkonstellationen der Vergangenheit betrachtet und dann in ein Geschichtsbuch schaut, um zu sehen, bei welchen Konstellationen sich z.B. Revolutionen, Kriege oder Börsencrashs ereignet haben. Das kann man dann „ganz klar“ begründen. Z.B. die dreifache Opposition Saturns mit den Planeten Pluto, Neptun und Uranus. Ziemlich selten, gab es etwa in der Zeit zwischen 1863 bis 1873. Himmel! Wir erinnern uns alle, das war doch die Zeit des Deutsch-Dänischen Krieges 1864, des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71. Unglaublich, im wahrsten Sinne des Wortes.

Die moderne Version von dieser Wirrenschaft ist die heutige Börsenanalyse, die man im Radio und Fernsehen vorgesetzt bekommt. Da wird versucht, dem geneigten Hörer im Nachhinein zu erklärt, warum der DAX, ein Aktienkurs oder eine Währung hoch oder runter gegangen sind. Beispiel: die Börsenberichterstattung der WDR 5 Sendung „Profit“, die ich hier für acht Tage paraphrasiert habe.

01.06.2010:
Der DAX startet schwach, um dann ins Plus zu drehen, weil positive Zahlen aus den USA kommen: Einkaufsmanagerindex und Bauausgaben waren höher als erwartet. DAX schießt daraufhin in einer halbe Stunde um 100 Punkte hoch.


Kurz: Die amerikanischen Einkäufer schauen also positiv in die Zukunft und es wird auch viel gebaut. Mensch, richtig positiv-nachhaltige Nachrichten aus den USA.


02.06.2010:
Der DAX startet schwach, dreht aber dann ins Plus, wegen positiver Immobilienzahlen aus den USA.


Kurz: Irgendwo liegen positive Zahlen rum, also steigt der DAX.


04.06.2010
Der DAX startet positiv, aber dann kamen die Arbeitslosenzahlen aus den USA, die waren enttäuschend und die Angst um eine Ungarnkrise, der DAX rauscht hinunter. Und nicht nur das. Die Gerüchte um einen Ungarnkrise und die enttäuschenden Arbeitslosenzahlen der USA machen Anleger generell vorsichtiger, weshalb auch gleich, der Euro auf ein vierjahrestief gefallen ist.


Kurz: Die Arbeitslosigkeit in den USA ist zwar von 9,9% auf 9,7% gefallen, aber Analysten hatten mit mehr gerechnet. Diese Enttäuschung wird als Grund hingestellt, warum Euro und Aktien stärker verkauft wurden.


09.06.2010
Es gibt Schätzungen, dass schwacher Euro den deutschen Autobauern 4 Mrd. mehr Gewinn einbringen könnte. Deshalb sind die Aktien der Autobauer deutlich im Plus: Daimler +4% BMW +3%. BMW konnte in China seinen Absatz im Mai gegenüber Mai 2009 sogar verdoppeln. China ist das Land der Träume für die Börse, es gibt Gerüchte, dass Chinas Export im Mai um 50% gestiegen ist. Erwartet hat man 30%.



Kurz: Mensch, der schwache Euro ist also plötzlich gut und China kauft deutsche Autos als gäbe es kein morgen.


10.06.2010
Der DAX steigt um 1,2%, China heizt nach wie vor die Stimmung an. China exportiert mehr und kauft mehr deutsche Luxusautos: Daimler heute +3% und BMW +4%.

Kurz: Der Chinese, der kauft immer noch deutsche Autos.


14.06.2010
Angst um eine spanische Bankenkrise, aber die Spanier (und Iren) konnten vergangene Wochen ihre Staatsanleihen an den Finanzmärkten verkaufen. Deshalb gab es trotz Bankenangst keine Reaktionen auf eine mögliche spanische Bankenkrise.


Kurz: Dass Spanien vergangene Woche Staatsanleihen platziert hat, wirkt immer noch nach.

Übrigens: Daimler war heute -1,6% und BMW -2,7%. Verdammt! Die Chinesen haben offensichtlich aufgehört, deutsche Autos zu kaufen.


15.06.2010
Viele Anleger reagieren momentan einfach sehr, sehr sensibel auf schlechte Nachrichten. Dass der DAX heute trotzdem noch Boden gut machen konnte, liegt unter anderem an den amerikanischen Börsen. Der Dow Jones ist deutlich im Plus und dann haben Spanien und Irland Anleihen ausgegeben, für die es eine rege Nachfrage gegeben hat, was ebenfalls als ein positives Zeichen gedeutet wird (und dem DAX geholfen hat.).



Kurz: Spanische Staatsanleihen wirken und wirken.


17.06.2010
Der Euro hat stark angezogen, weil Spanien Staatsanleihen am Markt platzieren konnte. Die deutschen Autobauer freuen sich über eine rege Nachfrage aus China, aus Indien, aus Japan und den USA.

Kurz: Gott sei Dank, die Chinesen kaufen wieder deutsche Autos! Und spanische Staatsanleihen sind ein echter Dauerbrenner.

Zusammenfassend: Die obigen Börsenanalysen zeichnen den Börsenmenschen in den grellen Farben der geistigen Verwirrung. Es erscheint, als würde er von hypochondrischen Ängsten vor schlechten Nachrichten ebenso geplagt, wie von wahnhaften chinesischen Wachstumsträumen. Dann verringert sich die Arbeitslosigkeit in den USA, aber nicht soviel wie erhofft. Willkommen in der Realität Herr Börsianer…ach, sie wollen schon wieder gehen? Offensichtlich, denn wieso spielen die positiven Nachrichten aus den USA, die nur Tage vorher kamen und die Börse zum Ausflippen gebracht haben sollen, keine Rolle mehr? Ein schwerer Fall von Faktenamnesie? Oder ist das die börsianische Version des Adenauer-Wortes: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“
An ihr Geschwätz von Gestern erinnern sich Börsenanalysten aber dann doch gerne, wenn es mal zufällig wieder passt: Solange Daimler Aktien steigen, ist der Chinese der Grund. Wenn Daimler fällt, sagt man nichts, wenn Daimler wieder steigt, ist der Chinese wieder zur Stelle.

Frei nach Goethe:

Habe nun, ach! Ich hohle Nuss,
Kursverläufe und viel Nachricht
Und leider auch Journalismus!
Durchaus studiert, wie es meine Pflicht.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;

Heiße Analyst, heiße Fachmann gar,
Und ziehe schon an die x Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Verkauf andre Leut, und mich auch, für dumm
Und seh nicht, dass ich einfach nur rate!
Egal, solang mich wer bezahlte.

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